Klassensprung ja oder nein
Klassensprung: ja oder nein?
„Hochbegabte Kinder können gut eine Klasse überspringen. Sie werden zufriedener, selbstbewusster und lernen das Lernen.“ Das ist die Kurzfassung der gängigen Meinung von Lehrkräften, Psychologen sowie Beratern. Wenn du das liest, dann fragst du dich jetzt bestimmt: „Stimmt diese Aussage?“
Ja, hochbegabte Kinder profitieren in der Regel von Klassensprüngen.
Du fragst dich warum das so ist?
Folgende Merkmale hochbegabter Kinder helfen beim Klassensprung:
✅ schnelle Auffassungsgabe
✅ sehr gute Merkfähigkeit
✅ hohes Sprachverständnis
✅ Logik erkennen
Vorzüge von Hochbegabung und Auswirkungen auf den Lernfortschritt
Das Lernen von neuen Inhalten ist ähnlich wie bei anderen Kindern auch und doch sind einige Besonderheiten zu beachten:
💡 Zusammenhänge werden schneller erfasst
💡 Übungen müssen weniger häufig wiederholt werden
💡 Inhalte werden länger erinnert
💡 Bedürfnis nach Sinn und Selbstständigkeit
💡 Denken eher vom Zusammenhang zum Detail (Normal begabte Schüler lernen Details und erkennen später die Zusammenhänge.)
Wenn du dir die Vorteile einer Hochbegabung bewusst wirst, dann wird schnell klar:
„Hochbegabte Kinder lernen schneller.“
Trotzdem erwarten viele Eltern und Lehrkräfte, dass die hochbegabten Kinder:
🛑 Abwarten, bis die anderen so weit sind
🛑 Wiederholungen absolvieren, die für sie sinnlos sind
🛑 Motiviert und sorgfältig bleiben, auch wenn die Aufgaben keine passende Herausforderung bietet
🛑 Mitschülern helfen und zum sozialen Erklärbär der Klasse werden
🛑 Keine Fehler machen bei Aufgaben, die sie schon vor der Erklärung konnten
Zusammenhänge von zu leichten Aufgaben
Der beschriebene Zusammenhang klingt mehr oder weniger komisch, oder? Was die Kinder aber in dieser Lernumgebung häufig lernen, sind:
💥 Selbstzweifel
💥 Aggression gegen sich oder andere
💥 Perfektionismus
💥 Schulunlust (Verweigerung?)
💥 Kopf- und Bauchschmerzen
💥 Freundschaften ein Problem?
An dieser Stelle höre ich dann häufig von Lehrkräften und Eltern: „Ja, aber Marie ist so zufrieden, macht alles und darf dann in ihrem Buch lesen.“
Okay, gehen wir dem Mal nach. Ich habe Fragen:
❓ Ist der Sinn von Unterricht überwiegend seine Bücher zu lesen?
❓ Dürfen alle anderen Schüler auch stundenlang einfach lesen, was ihnen gefällt?
❓ Müssen die anderen Kinder auch üben, was sie schon können?
Vermutlich (hoffentlich!) taucht in deinem Kopf häufig ein „Nein“ bei diesen Fragen auf. Natürlich ist das nicht der Sinn von Unterricht.
Denn die Kinder sollen gleichermaßen:
🚀 Lesen, Schreiben und das Rechnen lernen, sowie alle anderen Inhalte anderer Fächer
🚀 Anstrengungsbereitschaft entwickeln
🚀 Umgang mit Misserfolg
🚀 Soziales Verhalten in Gruppen
Klar, das ist nur ein kleiner Teil vom Schulleben, aber vielleicht verdeutliche ich dir so ein wenig meine Haltung.
Auswirkung vom „Gleichschritt“ im Klassenzimmer
Wie kann ein Kind diese Dinge lernen, wenn es überwiegend malt oder liest? Wie kann jemals der Umgang mit Misserfolgen gelernt werden, wenn er nahezu nie vorkommt? Das gibt ein völlig verzerrtes Bild. Regelmäßig spreche ich mit Eltern von Kindern im Alter von elf bis 15 Jahren die völlig straucheln:
👀 „Ich bin dumm.“ – Das Lernkonzept versagt. (Es gibt keins!)
👀 „Keiner mag mich.“ – Nein, Teenager mögen keinen ewigen Erklärbär.
In der Pubertät kommt hinzu, dass alle anderen Teenager ebenfalls emotional instabil sind, Schule uncool ist, Lehrer und Eltern doof. Neben dem fehlenden Selbstkonzept kommt dann ein Umfeld hinzu, das auch nicht passt. Die Diagnostik Lernkompetenz zeigt es ganz deutlich: Überlastung, unerfüllte Bedürfnisse, Angst sind häufige Auswirkungen, die dort ablesbar sind. Nicht selten haben diese Kinder eine Grundschulzeit gehabt, wo alles gut war.
Erwachsene meinen damit, dass die Kinder lieb und brav gewartet haben bis der Rest der Klasse auch soweit war. Während dieser Zeit haben sie sich gefragt:
💥 „Warum stellen die anderen diese Fragen?“
💥 „Ich verstehe gar nicht, was die Frage bedeutet.“
💥 „Warum muss ich immer so viel warten?“
Während also stilles Leid sich in Selbstzweifel, Kopf- und Bauchschmerzen verwandelt, stört das Kind nicht. Der Unterricht braucht nicht angepasst zu werden und Eltern sind beruhigt, weil alles läuft. Gerade hochbegabte Mädchen wählen diese (falsche) Bescheidenheit. Häufig zeigen sie ihre besonderen Begabungen nicht. Sie sind Meisterin im Verstecken von Talenten. Würden sie auffallen, dann könnten sie ja sozial isoliert werden. Das möchten sie nicht. Sie stecken viel Energie in das Coping.
Von ihren Müttern bekommen sie leider noch viel zu häufig vorgelebt: „Meine Begabung zeige ich nicht, oder rede sie als Zufall oder es war leicht, klein.“
Hochbegabte Jungen wählen in hoher Zahl einen anderen Weg. Sie werden: laut, aggressiv und zeigen deutlich ihre Wut. „So geht das nicht weiter!“ Lehrkräfte und Eltern schlagen gleichermaßen Alarm und die ehemals so pfiffigen Jungen werden getestet. Die Beratung ergibt dann häufig, dass es mehr Herausforderung geben sollte. Die Idee vom Klassensprung wird aufgenommen und sehr häufig sind viele der ehemaligen Probleme schnell weg. Das ist der Vorteil, wenn Kinder unbequem werden. Tendenziell sind Männer auch heute noch die „Bestimmer“. Zumindest sind sie eher selbstbewusst und stehen zu Leistung und Erfolg. Die idealen Vorbilder, um für eigene Bedürfnisse einzustehen.
Ja, es gibt auch Frauen, die zu ihrer Begabung stehen und Männer die es nicht tun. Trotzdem ist es bei mir noch immer so, dass mehr Männer einen IQ-Test wollen als Frauen. Genauso, wie noch immer mehr Jungen getestet werden, als Mädchen.
Die Erfahrungen zu Klassensprüngen und Differenzierungen sind überwiegend positiv. Eine Zusammenarbeit zwischen Eltern und Lehrkräften erlebe ich als sehr zugewandt und offen. Leider kommt es jedoch immer wieder zu Rückschlägen, die in den Familien viel Leid verursachen.
Die BegabungsNews haben das aufgenommen und in einem Blogbeitrag kommen Eltern zu Wort, wo Differenzierung und/oder Klassensprünge nicht stattfinden. Sehr traurig und tragisch.
Mit dem Artikel möchte ich wachrütteln. Hochbegabte Kinder wollen Herausforderungen genauso wie alle anderen auch. Bitte gebt ihnen die Chance.
Leider trauen sich viele Lehrkräfte nicht. Bitte lies einmal, was der fehlende Mut für die Kinder und Familien bedeutet.
12 Punkte, die beim Überspringen einer Klasse zu beachten sind
Quellen: Heinbokel, Annette (1996). Überspringen von Klassen. Münster, Lit Verlag S. 219/220
Dr. Annette Heinbokel hat sich um das Thema Hochbegabung sehr verdient gemacht. Sie ist mir schon viele Jahre ein Vorbild. Unermüdlich klärt sie zum Thema Hochbegabung auf, hat die DGhK gegründet, damit Eltern Hilfe bekommen können. Als Lehrerin hat sie immer wieder erklärt, dass Differenzierung und Klassensprung wichtig sind und wie es gelingen kann. Ihr Buch sollte in jeder Schule vorhanden sein, denn es ist ein Ratgeber für die Lehrkräfte und gleichzeitig wissenschaftlich evaluiert. Dr. Annette Heinbokel mag es eben gründlich und vor allem deutlich, um hochbegabten Kindern zu helfen.
- SchülerInnen, für die das Springen vorgeschlagen wird, sollten von ihren intellektuellen Voraussetzungen her im oberen Bereich der aufnehmenden Klasse
- Zeigen die Schülerinnen nur in einem Bereich unterdurchschnittliche Leistungen im Vergleich zur aufnehmenden Klasse, können die Defizite durch Unterstützung aufgefangen, wenn jedoch die überdurchschnittlichen Fähigkeiten nur in einem Fach deutlich werden, dann sind eine fachbezogene Akzeleration bzw. außerschulische Förderung vorzuziehen.
- LehrerInnen sind manchmal unnötig pessimistisch in Bezug auf die „emotional-soziale Reife“ von SchülerInnen. Bei Hochbegabten verwechseln sie möglicherweise schlechtes Benehmen, das von der Unzufriedenheit mit unangemessene Lern- und soziale Bedingungen stammt, mit Unreife oder Verhaltensstörungen. Die Beurteilung der emotional-sozialen Reife sollte deshalb die Beurteilung der Eltern und einer erfahrenen Diplompsychologin einbeziehen.
- Die SchülerInnen sollten keine ernsthaften emotionalen und sozialen Probleme haben. Außerdem sollten sie Durchhaltevermögen und hohe Motivation zeigen. Falls Probleme jedoch durch vorhergehende lang anhaltende Unterforderung bzw. durch den Mangel an entwicklungsgleichen FreundInnen verursacht wurden, können sie durch Akzeleration behoben werden.
- Die Körpergröße sollte nur insofern in Betracht gezogen werden, als das Kind sehr an Mannschaftssport interessiert ist und später sportliche Wettbewerbe eine Rolle spielen könnten.
- Es sollte so weit wie möglich sichergestellt werden, dass die SchülerInnen nicht unter Druck gesetzt werden zu springen. Die Eltern sollten dem Springen positiv gegenüberstehen, aber die SchülerInnen müssen es selbst wollen, sie sollten die letzte Entscheidung treffen. Das gilt auch schon für die Grundschule.
- Die aufnehmenden LehrerInnen sollten dem Springen positiv gegenüberstehen und bereit sein, den SchülerInnen bei der Eingewöhnung zu unterstützen. Sind sie ablehnend oder pessimistisch, sollte überlegt werden, ob sich das Springen zeitlich verschieben lässt, ob eine Parallelklasse gefunden werden kann, oder ob es sinnvoll ist, die Schule zu wechseln.
- Der beste Zeitpunkt für das Springen sowohl im Laufe der Schulzeit als auch im Laufe des Schuljahres ist, wenn die Unterforderung so deutlich wird, dass das Springen als sinnvolle Alternative ist. Eine grundsätzliche Verschiebung auf einen späteren Zeitpunkt ist demotivierend und fördert nicht das Sozialverhalten, sondern in erster Linie Schulmüdigkeit.
- Die aufnehmenden LehrerInnen sollten informiert sein, wo die SchülerInnen noch besondere Bedürfnisse oder Schwächen zeigen. Auch die MitschülerInnen, u.U. auch die Eltern(vertreterInnen) der aufnehmenden Klasse sollten vorher von der Klassenlehrerin auf angemessene Weise informiert werden, damit die SpringerInnen als „Neue“ akzeptiert werden.
- Jedes Springen sollte probeweise stattfinden. Eine Probezeit von sechs Wochen sollte ausreichend sein. Die SchülerInnen sollten wissen, dass sie während der Probezeit jederzeit in die alte Klasse zurückdürfen. Während dieser Zeit sollte es für die SchülerInnen und die aufnehmenden LehrerInnen Beratungsmöglichkeiten geben.
- Es sollte darauf geachtet werden, dass mit dem Springen nicht zu viele Erwartungen verbunden sind. Die SchülerInnen sollten nicht das Gefühl bekommen, dass sie versagt haben, wenn es nicht gut geht. Andererseits sind einige Hochbegabte in ihrer intellektuellen Entwicklung so weit, dass sie auch nach dem Springen wieder unterfordert sind. Für einige Hochbegabte können zusätzliche (binnendifferenzierende/ außerschulische) Angebote oder wiederholte Akzeleration notwendig, werden, dass sie auch nach dem Springen wieder unterfordert sind.
- Die Entscheidung über das Springen sollte auf Fakten und nicht auf Mythen beruhen. Die Forschungsliteratur zeigt, dass Akzeleration zur Verbesserung der Motivation und dadurch auch der Leistungen beitragen kann. Es wurden keine generellen negativen Effekte in Bezug auf die soziale und emotionale Entwicklung gefunden. Falls es Eingewöhnungsprobleme gibt, sind sie in der Regel gering und kurzfristig. Wird dagegen das Springen gegen den Wunsch der SchülerInnen abgelehnt, kann das zu einer schlechten Arbeitshaltung, Apathie, mangelnder Motivation und Fehlanpassung führen.
(unter Verwendung von Feldhusen u.a. 1986; Kraus 1986; Rimm 1992 a/b)
Literatur
Feldhusen, John F. / Proctor, Theron B. / Black, Kathryn N. (1986). Guidelines for Grade Advancement of Precocious Children, in: Roeper Review, 9 (1), S. 25-27
Kraus, Josef (1986): Hochbegabte, in: Honal, W. H. (Hrsg.). Handbuch der Schulberatung, Moderne Verlagsgesellschaft, Landsberg/Lech, S. 1-23
Rimm, Sylvia B. / Lovance, Katherine J. (1992a): The Use of Subject and Grade Skipping for the Prevention and Reversal of Underachievement, in: Gifted Child Quarterly, 36 (2), S. 100-105
Rimm, Sylvia B. / Lovance, Katherine J. (1992b): How Acceleration may Prevent Underachievement Syndrome, in: Gifted Child Today, 15 (2), S. 9-14
Dieser Textausschnitt ist von der Deutschen Gesellschaft für das hochbegabte Kind e.V. (DGhK) verfasst und veröffentlicht worden. Er zeigt deutlich die langjährige Relevanz zur Aufklärung zu diesem Thema. Dr. Annette Heinbokel als Gründungsmitglied setzt sich unermüdlich, wie der gesamte Verein, für Unterstützung und Information zum Thema hochbegabte Kinder ein.
Was bringt ein Klassensprung für hochbegabte Kinder?
Häufig sind die Kinder im Anschluss zufriedener und es wirkt langfristig positiv auf das Selbstwertgefühl.
Prof. Dr. Albert Ziegler und Dr. Annette Heinbokel haben zu diesem Thema geforscht.
Die Ergebnisse unterstützen meine Haltung und die vieler anderer Expertinnen und Experten. Im ETSN Netzwerk Hochbegabung haben beide darüber berichtet: Akzeleration: hochbegabte Schüler fördern.
Häufige Begleiterscheinungen von einem Klassensprung:
❤️ Anstrengung lernen
❤️ Umgang mit Misserfolg
❤️ Lerntechniken anwenden
❤️ Unbekannte Situation aushalten
❤️ Selbstbewusstsein aufbauen
❤️ Neue Freunde finden
❤️ Ein Schuljahr einsparen
Weitere mögliche Begleiterscheinungen im aktuellen Verhalten des Kindes:
✅ Mehr Zufriedenheit in der Schule und am Nachmittag
✅ Verhaltensauffälligkeiten verschwinden (kurz- oder langfristig)
✅ Freundschaften werden geschlossen
✅ Umgang mit Anstrengung, Misserfolg wird gelernt – das kann übrigens auch mal etwas unangenehm sein und die Kinder möchten sich mit „Ausreden“ herauswinden. Da sind Vermeidungsstrategien aktiv. Fall nicht darauf herein und begleite klug. Finde den Grund hinter der Begründung.
Was ist bei einem Klassensprung zu beachten?
Eltern und Lehrkräfte sprechen sich häufig gegen einen Klassensprung aus, wenn das Kind:
😠 Körperlich klein ist
😠 Sozialverhalten nicht den Wünschen entspricht
😠 Altersunterschiede größer werden
😠 Lehrstoff der neuen Klasse noch nicht beherrscht wird
Okay, sprechen wir zuerst über die Körpergröße. Da denke ich mir immer: „Wow, werden kleine zarte Mädchen jetzt nicht mehr versetzt?“ Welche Rolle spielt die Körpergröße im Klassenzimmer? Manchmal wird dann nachgesetzt bei früher Einschulung: „Die Kinder müssen sich auf dem Schulhof durchsetzen können.“ Herrscht dort das Faustrecht? Dann würde ich mir generell überlegen, ob Kampfsport für den Schulbesuch wichtig wäre. Nein, mal ernsthaft: „Was hat die Körpergröße mit dem Wechsel in die höhere Klasse zu tun?“
Hochbegabte Kinder, die permanent unterfordert sind, die neigen zum Teil dazu verhaltensauffällig zu werden. Das ändert sich nicht, wenn die Unterforderung anhält. Unter Umständen bleibt schlechtes soziales Verhalten auch beim Klassensprung bestehen, weil es bereits zu lange eingeübt wurde.
Abgesehen davon sind sie eher von Depression, schlechtem Selbstbewusstsein und Perferktionismus bedroht.
Um eine Herausforderung zu erleben und den Umgang mit Misserfolg zu erlernen ist es nötig, dass bisher nicht alles an Schulstoff der neuen Klasse gekonnt wird. Der Altersunterschied ist in der Regel eher förderlich. So kommen die Kinder eher an die Kinder heran, die kognitiv auf ihrer Wellenlänge sind.
Ist ein Klassensprung immer richtig?
Nein, nicht immer. Vor allem sollte er gut begleitet und vorbereitet werden. Es ist zum Scheitern verurteilt, wenn bereits die Eltern es sich nicht vorstellen können und ihre eigenen Ängste und Sorgen auf ihr Kind übertragen. In diesem Fällen kann zwar immer noch ein Klassensprung gelingen, aber die Wahrscheinlichkeit sinkt.
Abgesehen davon, sollte einige Grundlagen vorhanden sein. Wobei es aus pädagogischer Sicht auch so manches Mal nicht nötig ist, weil die neue Motivation Flügel verleiht. Die Situation von Kind, Eltern, Klassenzusammensetzung, Lehrkräften und Möglichkeit der Unterstützung aus dem Umfeld sind immer sehr unterschiedlich. Teilweise gelingt es auch, wenn keiner hilft – oder nur die Eltern.
Was gibt es beim Klassensprung noch zu beachten?
Förderlich bei einem Klassensprung ist die vertrauensvolle Zusammenarbeit mit den Lehrkräften. Die aufnehmenden Lehrer sind die passenden AnsprechpartnerInnen. Gemeinsam kann aufgedeckt und besprochen werden, falls Lücken auftauchen. In der Regel sind sie kurzfristig geschlossen, wenn die Erwachsenen gut zusammenarbeiten.
Bei einem sehr heterogenen Profil ist es wichtig zu sehen, ob die Stärken ausreichen. Lesefähigkeit ist häufig ein wichtiger Aspekt, oder auch andere Fähigkeiten. Insgesamt gilt es zu beurteilen, ob die Vorteile vom Klassensprung überwiegen. Vielleicht auch die genauere Frage: „Welches Problem soll sich lösen mit dem Klassensprung und welcher Preis muss einkalkuliert werden?“
Meine Beratungstätigkeit zeigt deutlich, dass externe Experten häufig einen anderen Blick und neue Lösungsmöglichkeiten mitbringen. Einen Blick auf die gesamte Situation kann ein großer Gewinn sein, weil jeder seine Position behält. Eltern sprechen über Elternsorgen, Lehrkräfte über Schulerfahrung und ein externer Berater über Erfahrung von sehr vielen gelungenen Klassensprüngen. Es ist immer sehr individuell.
Klassensprung und das Kind kann bisher nicht alles aus der Zielklasse? Upps, wer in der Klasse kann schon alles?
Der Klassensprung ist dazu da, um sich neue Themen aneignen zu müssen. Lücken sollten gefüllt werden, wo es nötig ist. Keinesfalls sollte Freizeit geopfert werden, um alle versäumten Hefte auszufüllen.
Geschwisterkinder sollten nach dem Klassensprung ebenfalls wieder mehr in den Fokus geraten. Ist es für sie sinnvoll, ebenfalls zu springen? Oder gelingt in der aktuellen Klasse die Differenzierung? Welche Bedürfnisse gibt es und was ergibt für dieses Kind Sinn?
Die erste Stunde in der neuen Klasse. Für einige Kinder eignet sich der Sportunterricht, ein Faschingsfest oder ganz einfach der normale Unterricht. Klar, es gibt besondere Befindlichkeiten.
Klassensprünge können gut auch mithilfe des Drehtürmodells eingeleitet werden. So erhalten die Kinder einen Einblick, was sie erwartet und die Erwachsenen Sicherheit. Die Entscheidung bekommt also einen „Vorabtest“. Dieser Weg kann eine gute Idee sein.
Und das Dauerthema und Totschlagargument: „Und was ist während der Pubertät?“ Wenn die anderen Schülerinnen und Schüler bereits 16 Jahre sind und das eigene Kind erst 15? Wenn alle in die Kneipe oder Disco gehen und mein Kind nicht mitgehen darf?
Gegenfrage: „Was machst du mit einem Kind, das nicht in die Disco oder Kneipe möchte?“ (Soll es geben!) Oder wenn es nicht mehr in die Schule mag, die Unterforderung zur Schulverweigerung wurde? Dann ist ein Discobesuch ein harmloses Problem. Dafür kannst du einem Freund diskret einen Muttizettel ausfüllen, Schulverweigerung ist sehr viel schwieriger wieder zu beenden.
Bitte denke an die Probleme, die du heute lösen kannst. Erdachte Probleme der Zukunft belasten nur und treffen meist nicht zu. Ja, es kann schwierig sein, aber du kannst dann wieder eine Lösung finden.
Gibt es nur den Klassensprung zur Unterstützung hochbegabter Kinder?
Nein. Frau Verena Keimerl der Universität Bamberg hat einen wundervollen Vortrag zu dem Thema für das ETSN Netzwerk gehalten und eine Grundschule die Umsetzung vor Ort erklärt. Wenn dich das Thema interessiert, dann lies gerne in dem Beitrag über die vielfältigen Möglichkeiten weiter.
Mayra Markies hat Material entwickelt, das in der Schule sofort zur Differenzierung eingesetzt werden kann. Gemeinsam haben wir einen Blogartikel dazu geschrieben.
Was denken hochbegabte Kinder über einen Klassensprung?
Sicher fragst du dich auch, wie erlebt ein hochbegabtes Kind seine Umwelt? Was ist eigentlich normal für ein hochbegabtes Kind?
Zuerst verabschiede dich bitte von dem Wort „normal“.
Das wird dich nur behindern und dein Kind aufhalten, es selbst zu sein.
Für einen ersten Eindruck empfehle ich dir, nachzulesen, was hochbegabte Grundschüler erlebt haben. Ein Satz aus einem weiteren Buch von Dr. Annette Heinbokel:
Eine Klasse überspringen – sonst wäre ich fipsig geworden
ist mir noch immer in Erinnerung:
„Nach dem Springen hatte ich eher das Gefühl richtig zu sein.“
Das sagt natürlich viel aus. Übrigens, hier ein kleines Erlebnis von einer Vorbereitung auf einen Klassensprung.
Anna geht in die zweite Klasse, ist sehr leise und schüchtern. Eltern und Lehrkräfte überlegen sich, dass sie im laufenden Schuljahr springen sollte. Die Angst bei ihr ist groß und deshalb die Ablehnung auch.
Der Plan: Marie ist bereits gesprungen und könnte darüber berichten. Wir bringen die Kinder zusammen, um ein Gespräch auf Augenhöhe zu ermöglichen.
Marie zu Anna:
„Springen ist ganz leicht. Ich mache das auch noch mal. Schule ist so doof, damit kann ich dann immer ein Jahr sparen.“
Gut, wir hatten es uns etwas anders vorgestellt … aber immerhin war es sehr ehrlich und keinem war klar, dass der nächste Sprung für Marie wieder an der Reihe war. (Blond, klein, zart)
Zu einigen Vorurteilen gegenüber Begabten und ihrer Förderung
Der ehemalige Regionalverein Osnabrück der Deutschen Gesellschaft für das hochbegabte Kind (DGhK) hat einen Artikel von Dr. Klaus Urban veröffentlicht. Darin nimmt sich Dr. Urban die gängigen Vorurteile vor, die leider Jahrzehnte später noch immer aktuell sind. Weil du bis hierher gelesen hast (danke für dein Interesse), gehe ich davon aus, dass du diese Vorurteile nicht (mehr) teilst.
Wer wirklich hochbegabt ist, setzt sich auf jeden Fall durch.
Diese Aussage trifft nicht zu, wie viele Fälle aus der Literatur oder Beratungspraxis zeigen. Auch Kinder mit hohen intellektuellen Potenzialen brauchen Anregungen, Herausforderungen und Förderung durch die Umwelt, damit sich Fähigkeiten und besondere Leistungen entwickeln können.
Dahinter stecken nur überehrgeizige Eltern.
Das mag in wenigen Einzelfällen zutreffen; die Erfahrung aber zeigt im Gegenteil, dass Eltern hochbegabter Kinder eher vorsichtig in der Interpretation und zurückhaltend in Bezug auf Herausforderungen sind. Sie sind oft aber sehr aufmerksam und sensibel für die Bedürfnisse ihrer Kinder und fordern daher zu Recht auch von der Schule einen Unterricht, der den besonderen Begabungen angemessenen ist.
Hochbegabte sind immer etwas merkwürdig
z.B. klein, pickelig, mit Brille oder sozial auffällig. Dahinter stecken die „gezähmten“ Nachwirkungen des Mythos von „Genie und Wahnsinn“. Diese Merkmalskombination war vor allem in der zweiten Hälfte des letzten und zu Beginn unseres Jahrhunderts von großer Faszination; sie ist Gegenstand umfangreicher wissenschaftlicher Bemühungen gewesen. In dem englischen Wort „Early ripe, early rot“ finden wir eine Entsprechung zu dieser falschen Annahme. Es gibt eine Reihe von Untersuchungen, die belegen, dass ein solcher Zusammenhang von überragender Intellektualität mit psycho-sozialer Auffälligkeit kein genereller und kein zwingender ist bzw. gar das Gegenteil der Fall ist. Gleichwohl muss die besondere mögliche Gefahr für die Entwicklung von Auffälligkeiten gesehen werden, die bei mangelnden Kontaktmöglichkeiten mit gleichinteressierten Kameraden ( Peers ), bei „lernbehindernden“ Bedingungen, bei nicht angemessener Förderung auftreten kann.
Hochbegabte sind sowieso schon privilegiert; sie brauchen nicht noch extra Aufmerksamkeit.
Als Gleichheitsgrundsatz gilt, dass ich allen Kindern das Gleiche bieten muss. Das Egalitätsprinzip falsch verstanden zielt auf eine Gleichmacherei der Ergebnisse. Chancengleichheit meint aber die grundsätzliche Möglichkeit des gleichen Zugangs zu Bildungsmöglichkeiten unabhängig von Geschlecht, Rasse, Wohnort oder sozialer Herkunft; das fordert geradezu die Berücksichtigung individueller Entwicklungen, Bedürfnisse und Möglichkeiten und führt damit immer zu ungleichen Ergebnisse. Besondere Begabung ist kein Privileg, sondern bedeutet oft Last für die Begabten als auch für ihre Umwelt, immer aber Aufgabe und Verantwortung. Besonders Begabte bedürfen der Unterstützung, Förderung und Beratung ebenso wie der Offenheit und Herausforderung des Lernens und ihrer Persönlichkeit.
Hochbegabtenförderung ist Elitezüchtung.
Im Sport und in der Musik sprechen wir zwar ganz selbstverständlich von Eliten. Vergessen wird darüber allerdings oft, dass jede Gesellschaft in den verschiedensten Leitungspositionen und Funktionen verantwortungsvolle Menschen als Entscheidungsträger braucht. Ohne funktionierende und kompetente Eliten würde auch eine demokratische Gesellschaft nicht lange überleben können. Deshalb ist es wichtig, dass in diesen „Funktionseliten“ wirklich hoch qualifizierte Personen verantwortlich tätig sind; das setzt voraus, dass besonders Begabte auch die Möglichkeit erhalten, hohe und besondere Qualifikationen zu erlangen, die sie möglicherweise später in verantwortlichen Positionen und im Interesse der Gesellschaft einsetzen können.
Ehrlich gesagt bin ich etwas traurig, dass diese alten Statements noch immer akutell sind. Bitte unterstüze mich, damit wir die wirkliche Relevanz zeigen können. Dr. Urban hat zusammen mit Dr. Annette Heinbokel damals die DGhK gegründet. Vermutlich hatte er gehofft, dass mit Aufklärung sich die Haltung in der Gesellschaft ändert. Bleiben wir also dran und teilen Informationen.
Reicht die Förderung zu Hause?
Nein, auch wenn Eltern und Lehrkräfte das gleichermaßen immer wieder sagen. Vielleicht versuchen wir einen Vergleich: „Du hast jeden Tag einen sehr langweiligen Vormittag. Du wartest jeden Tag, bis du um 13 Uhr gehen darfst.“ Wie motiviert wirst du am Nachmittag sein können? Oder könnte es sein, dass du völlig genervt deine Familie anmeckern würdest? Wie viel würdest du für dich an Positiven mitnehmen?
Für die meisten Kinder reicht es nicht. Häufig empfinden sie sich die gesamte Schulzeit als „Person am falschen Platz“, „Ich bin falsch.“ … und selbst als Erwachsene leiden noch viele Eltern darunter, dass sie sich immer unpassend gefühlt haben. Während wir die Ergebnisse der Diagnostik besprechen, rührt es so manche Eltern zu Tränen. Sie fühlen sich wieder allein, besonders und vor allem ausgeschlossen. Das möchten sie für ihre Kinder nicht. Ganz ehrlich, das muss sich auch nicht wiederholen. Es zeigt jedoch deutlich, wie langfristig Unterforderung in der Schule wirkt.
Wo wir schon darüber plaudern: „Wann wagst du eigentlich einen IQ-Test mit Persönlichkeitsdiagnostik für dich?“ Möchtest du nicht endlich wissen, wo du stehst? Wäre es nicht schön, endlich langsam dein Potenzial zuzulassen und deinem Kind ein gutes Vorbild zu sein?