Minderleistung bedeutet, dass ein hochbegabtes Kind nicht seinen Fähigkeiten entsprechende Leistung zeigt.

Was ist Underachievement?

Minderleistung bedeutet, dass ein hochbegabtes Kind nicht seinen Fähigkeiten entsprechende Leistung zeigt.

„Bei einem Intelligenztest wurde festgestellt, dass mein Sohn Leon hochbegabt ist. Seine Klassenlehrerin sagt, in der Schule (2. Klasse) merke man davon nichts, da sei er bestenfalls mittelmäßig.

Wie kann das sein? Will er nicht oder kann er nicht?

Haben wir irgendetwas übersehen?

Hat der Test falsch gemessen?“

Die Autorin dieses Textes ist Martina Rosenboom. Sie ist ehemalige Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für das hochbegabte Kind e. V. (DGhK) und gibt schon viele Jahre ihre Freizeit, um Familien mit hochbegabten Kindern zu unterstützen. 

Im Ehrenamt hat sie Eltern beraten, im Regionalverein im Vorstand die Geschicke geleitet, um uns in den Elterngruppen einen guten Rückhalt und Struktur zu bieten. Später ist sie im Bundesverein der DGhK als Präsidentin verantwortlich für mehr Beratungsqualität und Struktur. Heute bereichert sie Begabungsblick mit guten Texten.  

Martina Rosenboom von Talentconsulting
Martina Rosenboom begleitet aktiv im Begabungsblick die Elternkreise Hochbegabung und veröffentlicht wichtige Texte.

Kinder wie Leon nennt man MinderleisterInnen oder auf Englisch Underachiever. Gerade bei hochbegabten Kindern ist das scheinbar ein häufiges Phänomen, weil es Eltern sehr belastet – und manchmal auch die Kinder selbst. Dann ist Underachievement der Anlass, in eine Beratung zu gehen. Unsere gemeinsame Kollegin für die Elternkreise Hochbegabung, Bianka Kröger hat auf ihrer Seite sehr viele Informationen zusammengetragen. Dieser Artikel bringt einen kleinen Einstieg.

Die Definition von Underachievement

Underachievement wird definiert als erwartungswidrige schulische Minderleistung bei hochbegabten Kindern. Demnach lässt sich ein Kind dann als Underachiever bezeichnen, wenn es sein (per Testgutachten) nachgewiesenes, hohes geistiges Potenzial (IQ≥130) entgegen den Erwartungen nicht in entsprechende Performanz (gute Schulleistungen) umsetzen kann. Die betroffenen Kinder zeigen in einem/mehreren Fächern lediglich Leistungen im Klassendurchschnitt oder bleiben sogar darunter. (nach Rost, 2007)

Diese Definition zeigt mehrere Faktoren auf:

  • Erwartungswidrig: Wenn die Hochbegabung nicht bekannt wäre, würden wir uns bei den mittelmäßigen Leistungen von Leon keine Gedanken machen. Von Hochbegabten wird aber mehr erwartet. Wer erwartet mehr? Die Lehrerin oder die Eltern oder Leon selbst?
  • IQ≥130: Die Festlegung auf ein bestimmtes Ergebnis beim Intelligenztest lässt Kinder außen vor, die nicht getestet wurden oder deren Durchschnitts-IQ unter dieser Schwelle liegt. Könnte Leon mit einem IQ von 125 auch ein Underachiever sein? Was ist mit einem mathematisch sehr begabten Kind, das in Sport oder Englisch eine schlechte Note hat?
  • gute Schulleistungen: Wenn der Fokus bei der Schule liegt, dann werden Leistungen in anderen Bereichen nicht gesehen. Leon kümmert sich liebevoll um seine behinderte Schwester oder spielt in der Landesmannschaft Schach? Er zeigt besondere Leistungen – nur eben nicht in Schulfächern.

Wo und wie finden wir Underachiever?

In der Forschung und Praxis bildet sich eine Häufung von männlichen Underachievern heraus, was darauf zurückzuführen ist, dass diese ein ausgeprägteres Störungsverhalten im Unterricht zeigen. Oft sind es erst die Störungen, die zu einem Intelligenztest führen – danach fällt dann die Minderleistung auf. Viele Mädchen sind aufgrund stärkerer Anpassungsbemühungen schlechter zu identifizieren und werden dadurch öfter übersehen: Es wird seltener getestet UND weniger erwartet.

Insgesamt sind laut Forschung ca. 15 % aller Jungen und Mädchen mit einer hohen intellektuellen Begabung vom Underachievement betroffen. In der Praxis ist der Anteil oft höher, denn schulische Minderleistung ist bei vielen Eltern ein Anlass, in die Beratung zu kommen.

Ist Underachievement etwas Schlimmes?

Eltern sollten sich zunächst fragen:

Für wen ist die Minderleistung ein Problem?

Wer hat hohe Erwartungen?

Wie zeigen sich Leistungen in welchem Umfeld?

Für Eltern und Lehrkräfte ist es wichtig, den Unterschied zwischen Potenzial und Leistung zu sehen. Nur weil Leon schnell rennen kann, muss er das nicht tun. Wenn Leon mathematisch sehr begabt ist, muss er keine guten Noten in Mathe schreiben und in Geschichte erst recht nicht. Leistung hängt nicht nur vom IQ ab, sondern auch von vielen anderen Merkmalen im Kind selbst und in seiner (Lern-) Umgebung. Wenn es Leistungsprobleme gibt, können wir als Erwachsene dort mit Veränderungen anfangen.

Wir sollten uns als Eltern auch fragen:

Verpflichtet eine hohe Begabung zu exzellenter Leistung?

Muss Leon gute Leistungen bringen, nur weil er könnte?

Leisten wir selbst immer „unser Bestes“, wenn „Hauptsache erledigt“ reicht?

Wie oft nutzen wir unser volles Potenzial?

Wann und wo können wir Leistung zeigen?

Und auch:

Was bedeutet es für die Gesellschaft als Solidar- oder Wirtschaftsgemeinschaft, sein Potenzial nicht auszuschöpfen?

Viel wichtiger für die Bewertung von Underachievement sind zuerst emotionale Anteile:

Wie geht es Leon damit?

Welchen Einfluss hat das Erleben von Minderleistung auf seine Gefühle („Ich hasse die Schule!“), sein Selbstbild („Ich bin bestimmt doch dumm!“) oder sein Lernen („Das lerne ich nie!“). Wenn Underachiever sich so äußern und der Zustand länger anhält, dann sollten Eltern und Lehrkräfte genauer hinschauen und tätig werden. Dafür müssen wir uns die Gründe genauer anschauen, um passende Wege aus der Minderleistung zu finden.

Wenn ich nur darf, wenn ich soll,
aber nie kann, wenn ich will,
dann mag ich auch nicht, wenn ich muss.

Wenn ich aber darf, wenn ich will,
dann mag ich auch, wenn ich soll,
und dann kann ich auch, wenn ich muss.

Denn schließlich ist es doch so:

Die können sollen,
müssen auch wollen dürfen.

(Heinz Schirp)

Kinder aus der Minderleistung führen

Bei schlechten Schulnoten erlebe ich noch immer viele Eltern hochbegabter Kinder, die zuerst das Hobby streichen und die Treffen mit den Freunden. Das ist leider nicht der passende Weg, um Motivation zu erreichen. Gerade bei der Diagnostik Lernkompetenz sehe ich im Begabungsblick häufig, dass das Bedürfnis nach passenden Beziehungen unerfüllt ist.

Teilweise sehe ich, dass gerade Mädchen sehr viel Energie in Beziehungen stecken.  Weit mehr als ihnen wichtig ist. So verbrauchen die Mädchen (zu) viel Kraft für Begegnungen und werden selbst immer unsichtbarer. Martina Rosenboom hat zu diesem wichtigen Thema bereits einen wichtigen Artikel für Begabungsblick geschrieben: Zwischen Ehrlichkeit und Untertauchen. Lies ihn gerne und beobachte dein Kind, denn auch Jungs wählen manchmal diesen Weg.  

Zum Thema „Zwischen Ehrlichkeit und Untertauchen“ Wie mutig zeigst du dein Potenzial? Wie sehr hast du es unter Umständen perfektioniert „Dinge so zu machen, weil man es so macht?“ ohne deine Stärke einzubringen und dich zu zeigen? Wie gut könnte dein Kind dich gerade imitieren?  Auch für Erwachsene kann eine Begabungsdiagnostik sinnvoll sein. Trau dich!

Bleiben wir im Kontakt?