Begabungen fördern – gerade bei hochbegabten Mädchen! Warum sehen wir mehr Beispiele für hochbegabte Jungen als für hochbegabte Mädchen?

Begabungen fördern – gerade bei hochbegabten Mädchen!

Warum sehen wir mehr Beispiele für hochbegabte Jungen als für hochbegabte Mädchen?

Wenn du stark vermutest, dass dein Kind hochbegabt ist, dann nimmst du manche Verhaltensweisen anders wahr.

Ist es seinem Alter weit voraus?

Ist das Interesse an diesem Thema alterstypisch?

Beschäftigen sich andere Kinder auch so intensiv mit Gedanken und Ideen?

Dabei spielt es auch eine Rolle, welches Bild du von Begabung und Hochbegabung hast, welche Vergleichsmöglichkeiten du hast und ob du ein Mädchen oder einen Jungen vor dir hast.

Martina Rosenboom kenne ich schon viele Jahre. Ich erinnere mich noch gut an unsere erste Begegnung während eines Aktiventreffens. Als Vorsitzende der DGhK (Deutsche Gesellschaft für das hochbegabte Kind e. V.) für den Regionalverein Niedersachsen/Bremen hat sie während ihrer Amtszeit sehr viel Wert auf die Beratungsqualität gelegt. Ihr war es immer wichtig, dass die Elterngruppenleiterinnen nicht allein gelassen wurden und die Chance auf eine Qualifizierung bekamen.  So kam auch ich in den Genuss der ECHA-Ausbildung. Heute unterstützt sie mich, indem sie mir wirklich gute Texte zur Verfügung stellt. So können an Hochbegabung interessierte Personen gute Informationen erhalten.  

Martina Rosenboom von Talentconsulting
Martina Rosenboom hat eine Mission: Familien mit hochbegabten Kindern mit hervorragenden Texten zu versorgen, damit Vorurteile ein Ende finden.

Intelligenz ist bei Mädchen und Jungen gleich verteilt

Es gibt keine grundlegenden Unterschiede in der Verteilung der Intelligenz zwischen Mädchen und Jungen. Warum sehen wir dann viel mehr Beispiele für begabte Jungen als für begabte Mädchen? Mädchen sollten doch auch hier die gleichen Chancen haben. Es geht bei der Förderung von Begabungen aller Kinder nicht um eine „Randgruppe“, sondern um die Hälfte der Kinder mit Begabungen!

In diesem Text geht es um geschlechtstypisches Verhalten. Damit ist gemeint, dass nicht alle Jungen oder alle Mädchen sich so verhalten, dass es aber Häufungen gibt. Wenn du die Gelegenheit hast, Mädchen- und Jungengruppen zu erleben, dann wirst du vieles wiedererkennen.

Bei Begabungen gibt es mehrere Schritte, die aufeinander aufbauen. Bei allen spielt es auch eine Rolle, welche Erfahrungen du hast und was dir die Medien an Wissen anbieten.

Kennen: Welche Begabungen kennst du?

Nur was du kennst, fällt dir auch wirklich auf. Bestimmt fallen dir gleich einige Talente ein, beispielsweise in Sport oder Musik. Auch alters untypisches Wissen gehört dazu: Automarken, Gesteinssorten oder Leben im Mittelalter sind für viele Kinder interessante Wissensgebiete. Vielen ist nicht bekannt, dass auch Einfühlungsvermögen, Umgang mit Sprache und Selbststeuerung zu den Bereichen gehören, in denen Kinder sehr begabt sein können.

Einige Begabungen fallen uns also schnell auf und andere leider nicht. Hast du dazu schon Bilder von Kindern im Kopf? Bei „Wissensgebieten“ denken viele eher an einen Jungen, der sich eine Sammlung angelegt hat. Beim „Einfühlungsvermögen“ denken wir eher an ein hilfsbereites Mädchen.

Unser Tipp: Begabungen, die schnell wahrgenommen werden, werden eher Jungen zugeschrieben. Wenn du eine Mädchenmama oder ein Mädchenpapa bist, lohnt es sich für dich, genauer hinzuschauen. Lass dich von den Medien nicht so schnell beeindrucken. Besondere Begabungen können auch anders aussehen oder unsichtbar sein. (Zum Thema unsichtbar sein hat Martina einen weiteren hervorragenden Artikel geschrieben, den ich dir ans Herz legen möchte: „Zwischen Ehrlichkeit und Untertauchen.“ 

Erkennen: Wann wird eine Hochbegabung überhaupt vermutet?

Meistens wird ein Intelligenztest durchgeführt, um eine Hochbegabung zu testen. Wie bereits erwähnt, ist Intelligenz bei Mädchen und Jungen im Prinzip gleich verteilt. Nun gehen Eltern aber selten in eine psychologische Praxis, weil sie die Begabungen testen lassen wollen. Eher ist es so, dass ein auffälliges problematisches Verhalten den Termin nötig macht. Dieses Verhalten wird bei Jungen eher wahrgenommen und nicht selten bringt der Verdacht auf AD(H)S oder eine Autismus-Spektrum-Störung (ASS) sie mit den Eltern in eine psychologische Praxis.

Zwei Drittel der Kontaktaufnahmen zu psychologischen Praxen erfolgen wegen auffälliger Jungen. Dabei wird dann manchmal „nebenbei“ eine Hochbegabung festgestellt. Mädchen werden seltener getestet, da sich Probleme bei ihnen in Bauch- und Kopfschmerzen äußern. Damit gehst du sicherlich zur Kinderärztin oder zum Kinderarzt, wo erst alle körperlichen Ursachen ausgeschlossen werden. Selten wird ein psychologischer Test angeraten. Eine Hochbegabung wird also noch weniger vermutet und somit seltener erkannt.

Unser Tipp: Die problemorientierte Suche nach Begabungen benachteiligt Mädchen. Achte auch auf Mädchen, die etwas besonders gut können oder ihrem Alter voraus sind. Besonders gilt das natürlich für deine Töchter.

Anerkennen: Bekommt deine Tochter die nötige Rückmeldung?

Anerkennung ist positive Verstärkung für eine Leistung (oder ein Bemühen um Leistung) aus der Umwelt. Mit unserer Anerkennung verstärken wir wünschenswerte Verhaltensweisen, unabhängig von Begabungen. „Leistung“ ist in unserer Gesellschaft als Ergebnis anerkannt, aber selten der Weg dorthin.

Besondere Begabungen werden nicht immer belohnt. Großes Wissen kommt in der Schule nicht gut an, wenn dein Sohn seine Lehrkraft verbessert oder deine Tochter sich lieber eigene Aufgaben ausdenkt. Wenn es dann noch ein Junge ist, der schon nähen kann, oder ein Mädchen, das ihr Fahrrad reparieren kann, dann ist die Reaktion eher Verwunderung als Anerkennung.

Das Aneignen von Wissen, Forscherdrang und Ehrgeiz braucht unsere positive Verstärkung. Mädchen neigen dazu, sich lieber in eine Gruppe einzuordnen als herauszustechen. Bevor deine Tochter Neid erzeugt („Streberin!“), hält sie sich lieber zurück. Sie wird wahrscheinlich lieber weniger Leistung zeigen und verzichtet damit auf Anerkennung.

Unser Tipp: Anerkennung für Leistung benachteiligt Mädchen, die nicht aus ihrer Gruppe herausfallen wollen. Neben der Anerkennung von den Eltern benötigen Mädchen oft eine Gruppe, in der ihre Leistung gefeiert wird. Hier hilft es, wenn das besondere Interesse sie in eine Gruppe führt. Beim Sport oder in anderen Wettbewerben kann das z. B. das Team sein. Auch Trainer und Kursleiterinnen geben oft den nötigen Rückhalt.

Fördern: Wie kommt dein Kind von Begabungen zu Leistungen?

Denke einmal an Sport oder Musik, wo junge Talente über Jahre gezielt trainiert werden. Dazu gehört auch, sich motivieren zu können, nicht aufzugeben und Schwierigkeiten zu überwinden. Förderung muss also die ganze Person im Blick behalten und nicht nur das Fachgebiet. Angebote der Begabtenförderung in Schulen richten sich oft an die Kinder mit besseren Noten, wenn also eine Leistung schon sichtbar ist, die in der Schule gefördert werden kann.

Diese Kinder werden von Lehrkräften dann noch aus der Gruppe „ausgewählt“, um beispielsweise an einem Wettbewerb teilzunehmen. Diese Art der Auswahl ist für viele Mädchen sehr unangenehm, weil sie sich von ihrer Gruppe abgrenzen müssen: sie trennen sich von Freundinnen oder ihrer Klasse. Viele Jungen empfinden solche exklusiven Angebote dagegen als Belohnung und Auszeichnung und so hat die Lehrkraft es bestimmt auch gemeint.

Ähnliches gilt für die Teilnahme an Wettbewerben: Während viele Jungen durch diese Art des Wettkampfes motiviert werden, schrecken besonders Mädchen eher zurück. Ob dieses gruppenorientierte Verhalten angeboren oder anerzogen ist, lässt sich kaum sagen.

Unser Tipp: Viele Fördermaßnahmen passen nicht zu den sozialen Bedürfnissen von Mädchen. Bei Forderangeboten kannst du schauen, ob etwas dabei ist, was den Bedürfnissen deiner Tochter entspricht: Es gibt viele Angebote, die Gruppenzugehörigkeit stärken.

So kann eine AG in der Schule oder ein besonderes sportliches Angebot statt eines „Heraus aus meiner Gruppe“ auch als ein „Hinein in eine neue Gruppe“ Entwicklungen anregen und positiv bewertet werden. Bei vielen Wettbewerben ist auch die Meldung von Teams möglich, sodass deine Tochter sich als Gruppenmitglied einbringen kann.

Die Begabungen deiner Tochter zu finden und zu fördern ist wichtig und macht dir bestimmt viel Spaß, weil du dabei so viel über dich selbst erfahren kannst. Es lohnt sich also doppelt, genauer hinzusehen.

Herzlichen Dank, liebe Martina, für diesen Text.

Der Text ist im Original bei Elternleben zu finden und ist erschienen am: 26.01.2023.

Ein IQ-Test gibt Sicherheit

Liebe Mutter, lieber Vater, liebe Lehrkraft oder Erzieherin, bitte schau auf das Mädchen. Sie sind häufig Meisterin der Anpassung. Immer wieder erlebe ich, dass sie versuchen, den Erwartungen gerecht zu werden, uns sich immer mehr selbst aufgeben. Kopf- und Bauchschmerzen stören im Klassenverband einfach nicht so sehr wie Zappel-Phillip, Klassenclown und Agro-Anton.  Noch immer erlebe ich übrigens insbesondere Mütter und Frauen allgemein, die ihre Fähigkeiten kleinreden.  

Diese erwachsenen Frauen sind Vorbilder von den Frauen von morgen. Wollen wir wirklich, dass diese kleinen Mädchen sich auch als junge Frau keine Chance geben? Das Leben ist schon schwer genug, warum sollen sie sich selbst zusätzlich drosseln? Liebe Mutter, liebe Lehrerin, liebe Erzieherin, bitte lass dein Potenzial testen und nimm deine Begabung an. Zeig der Welt da draußen: „Wir Frauen haben was zu sagen.“ 

Schreib mir gerne deine persönliche Erfahrung und ich füge sie diesem Beitrag anonym hinzu. 

Bleiben wir im Kontakt?

Elternstimmen zu diesem Beitrag

Hallo Claudia,

Bei mir wurde auch „nur“ der Junge getestet. Natürlich, weil es Schwierigkeiten gab und ich als Begabungsbeauftragte meiner Schule früh typische Anzeichen gesehen hatte. Meine Tochter (12) ist in jeder Hinsicht toll. Ich bin überzeugt, dass sie auch hochbegabt ist. Ich wollte durch einen Test ihr Selbstbewusstsein stärken, weil sie immer wieder Dinge äußert wie: „ich bin halt nicht hochbegabt/ich bin dumm“. Sie möchte sich nicht testen lassen, weil sie Angst hat, es könnte rauskommen, dass sie es doch nicht ist. Wohlgemerkt: Sie ist hier die Hochleisterin. Nach einem halben Jahr Gymnasium hat die Lateinlehrerin von sich aus vorgeschlagen, sie in den Lateinunterricht einer höheren Klasse zu schicken… Bei meinem Sohn hängt die schulische Leistung vollkommen von der Beziehung zum jeweiligen Lehrer ab: Von Eins bis Fünf ist alles dabei.

Ich selbst habe mich nach dem Abitur testen lassen, weil ich Lehrerin werden und dafür verstehen wollte, warum mir das Lernen so viel leichter fiel als vielen meiner Mitschüler. Den hohen Perfektionismus sehe ich auch bei mir, und das ist teilweise auch ein Problem für meine Kinder: Sie denken, ich erwarte das gleiche von ihnen (so hat mein Sohn es mir mal gespiegelt). Viel zu leisten war für mich immer selbstverständlich, und ich war überrascht, als ich zu meinem Abitur einen Schulpreis für mein Engagement erhielt. War doch ganz normal… 😉

Herzliche Grüße A.W.